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Falsche Zähne, echte Bäuche

von Petra Kohse

Berlin, 7. März 2008. Dorota Maslowska kann sich nicht beschweren. Die polnische Schriftstellerin ist 24, hat zwei Romane und ein Bühnenstück geschrieben, bekam für die Bücher mehrere Preise, darunter den bedeutenden Nike-Preis, und wird jetzt in Theatern in London und Berlin gespielt. Das Foto bei Wikipedia zeigt eine rotblonde junge Frau mit krass asymmetrischem Haarschnitt in einer Kapuzenjacke mit Camouflage-Muster.

Im Londoner Soho Theatre hatte Ende Februar „A couple of poor, polish-speaking romanians“ Premiere, das auf Deutsch „Zwei arme, Polnisch sprechende Rumänen“ heißt, offenbar eine Art Roadmovie über zwei, die schneller ins Abseits rutschen als sie es eigentlich merken. Im Juni wird es Armin Petras bei den Wiener Festwochen zur deutschsprachigen Erstaufführung bringen (als Koproduktion mit dem Berliner Maxim Gorki Theater, dem Schauspielhaus Wien und dem Festival Theaterformen). Im Studio des Gorki Theaters ist als Koproduktion mit der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch jetzt „Die Reiherkönigin“ zu sehen, eine Bühnenfassung des zweiten Romans (der den Nike-Preis bekommen hat, die höchste literarische Auszeichnung in Polen)

Milieureiches Rauschen

„Ein Rap“ heißt es im Untertitel, aber wenn man die Übersetzung von Olaf Kühl als Songtext liest, kommt man rasch ins Holpern, denn der Text wechselt vom klassischen Hexameter über einen vollgestopften Fünfheber zu ungebundenen oder auch nur sehr gelegentlichen Reimen. Inhaltlich geht es um den Schlagerstar Stanislaw Retro, dem das weibliche Publikum zwar noch zu Füßen liegt, dessen Nimbus aber bröckelt, seit lanciert wurde, er sei homosexuell.

Die Freundin verlässt ihn, der Manager zieht sich zurück, und in Talkshows will man ihn nur noch als Vertreter der „schwulen Minderheit“ befragen. Er wehrt sich, was die Sache aber nur schlimmer, nämlich unvermarktbar macht. Die Show ist aus, und ob er nun tatsächlich schwul ist oder nicht, spielt keine Rolle, er war ganz oben, und jetzt ist er unten.

Es ist kein eingängiger Sound, in dem dies erzählt wird, aber eine Faszination hat er doch. Denn das Rauschen, das er produziert, wird aus zahlreichen persiflierten Milieus gespeist. Da sind: die Underdog-Erzählung, die Schlagerwelt, die Soap-Opera, die schmierige Medienmafia, die Beziehungshölle, der Outcast-Blues, Volksbildungsrhethorik, Fäkalsprache, Werbe-Slogans und Versuche über polnische Identität und europäisches Geld. Dazwischen werden immer wieder „Einschübe“ gemacht, und die Figuren wenden sich zusammenfassend und erklärend an das Publikum.

Das ist im Einzelnen mal mehr und mal weniger lustig, im Ganzen aber schon berührend, weil die Autorin den Klängen der Gesellschaft einerseits so ausgeliefert scheint (den falschen, den billigen, den infamen), sie es andererseits aber souverän schafft, diese zu transzendieren und in ihre eigene Polyphonie einzuspeisen. Und die ist nichts weniger als naturalistisch. Eher gespreizt und gestelzt, dabei aber so ironisch wie selbstironisch, eine klare Anführungszeichen-Sache, aber ernst im Willen, etwas damit zu erzählen.

Kunstfertige Genretöne

Der aus Polen stammende Regieabsolvent Krzysztof Minkowski hat „Die Reiherkönigin“ im Maxim Gorki Theater für die Bühne bearbeitet und inszeniert. Gespielt haben Studenten des vierten Studienjahres: Marie Burchard, Carolin Karnuth, Manja Kuhl, Christian Ehrich, Jonas Littauer und Nikolai Plath. Sie haben ganz auf die Persiflage aufgesattelt und richtig fette Farben aufgetragen. Vor den grüngelben U-Bahnkacheln von Konrad Schaller geben sie das Ganze weniger als Rap denn als Volldampfschlager-Revue, mit falschen Zähnen und echten Schwabbelbäuchen, viel lustigem Chorgesang und kunstfertigen Genretönen.

Das machen sie kraftvoll und bestens gelaunt, aber es kommt einem doch unbotmäßig platt vor, weil vor lauter nettem, rein illustrativem Szenengepussel der gesellschaftliche Horizont des Stückes verschwimmt. Dass in der Figur des Stanislaw Retro das Positivbild der polnischen Identität an die westeuropäischen Standards und Leitbilder ausgeliefert wird, findet im Gorki Studio keine Form.

Ganz am Ende tritt Jonas Littauer als Manager vors Publikum, einen Becher Latte Macchiato in der Hand. Er erzählt, wie sehr er „Latte“ liebt und dass er sich über ebay für 1.500 Euro eine Espresso-Maschine gekauft hat, die dann aber nicht in die Wohnung hineinging: „Das Teil passt kaum über die Schwelle, keine Bagatelle, man müsste ein Stück Wand rausbrechen, um es aufzustellen.“ Eine paradigmatisch tragische Albernheit, die Littauer aber bloß in ein Dauergrinsen verpackt. Er grinst und milchschleckt danach auch noch die äußerste Klammer des Textes weg, die hier skizziert wird: dass nämlich die Geschichten von Stanislaw Retro nur als Rührstück für Radiohörer ersonnen sein könnten.

Das ist der Moment, in dem man sich nach einer der melancholischen Videoprojektionen sehnt, die Armin Petras gerne verwendet. Oder nach einer Improvisation des hinter dem Keyboard sitzenden Musikers Bijan Azadian. Nach irgend etwas, das einem einen Hauch von fremder Echtwelt vermittelt und auf das man die Folie dieses apostrophenreichen Textes auflegen könnte. Aber hier war nur Munterkeit und dann Black und Schluss und allgemeiner Jubel. Nur der Regisseur lachte nicht beim Applaus und Verbeugen. Prüfend schaute er im Publikum herum, als würde er etwas suchen.